☆☆ Grundlegendes zu Beweisen

Website: Berufsbildende Schulen Winsen (Luhe)
Kurs: Mathematik 9 - Reelle Zahlen (LOERn)
Buch: ☆☆ Grundlegendes zu Beweisen
Gedruckt von: Gast
Datum: Donnerstag, 19. September 2024, 18:18

Beschreibung

Grundlegenden Beweistechniken kurz zusammengefasst.

Ursprünge des Beweisens

Die Mutter aller mathematischer Betrachtungen ist die Klassische Logik. Deren Grundsätze entstanden in der philosophischen Schule der Stoa (benannt nach dem Versammlungsort) vor etwa 2100 Jahren. Schon deren Gründer Zenon von Kition hat den Begriff der Logik, so wie er heute in der Mathematik gebraucht wird, geprägt.

Stoa von Attalos in der Agora in Athen

Stoa von Attalos in der Agora in Athen, erbaut 150 v.Chr.


Die Logik der Stoiker hatte drei Elemente:

  • die Rhetorik: Die Kunst der überzeugenden Begründung
  • die Erkenntnistheorie: Kriterien, die festlegen, wann man eine wahre Erkenntnis gewonnen hat. Den Stoikern war klar, dass der Mensch Sinnestäuschungen unterliegen kann. (Magie, Wunderglaube, ...) Aufgabe der Erkenntnistheorie ist es einen Weg zu finden, bloße Meinungen von wahrer Erkenntnis zu trennen - also das, was man heute unter "wissenschaftlicher Arbeitsweise" versteht.
  • die Dialektik: Die Kunst eine Diskussion mit richtig ausgewählten Argumenten in der richtigen Reihenfolge zu führen. Hier gibt es prinzipiell drei Beweisfiguren:
    • Aus A folgt B. \( \small A \Rightarrow B \)
    • Es gelten A oder B (oder beides). \( \small A \vee B \) Eines von beiden muss wahr sein.
    • Es gelten A und B. \( \small A \wedge B \). A und B müssen wahr sein. Die Aussagen A und B können jeweils nicht ohne die andere erfüllt sein.

Ein logisches System darf nur dann so genannt werden, wenn gilt:

  • Jede Aussage muss entweder wahr oder falsch sein. Es gibt keine halben Wahrheiten.
  • Der Wahrheitswert einer aus mehreren Sätzen zusammengebauten Aussage muss sich eindeutig aus den Wahrheitswerten der einzelnen Sätze ergeben.

Für alle die mehr über die Philosophie der Stoa erfahren wollen: http://www.philosophie-der-stoa.de/

Beispiele aus der klassischen Logik

Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch

A: Es regnet gerade.

nicht ( A und nicht-A ): Es kann nicht sein, dass es gleichzeitig regnet und nicht regnet.

in Symbolen: \( \small \neg ( A \wedge \neg A) \)

oder

\( \small B \): Eine natürliche Zahl ist gerade.

\( \small \neg ( B \wedge \neg B) \): Es kann nicht sein, dass eine natürliche Zahl gleichzeitig gerade und ungerade ist.


Satz vom ausgeschlossenen Dritten

"tertium non datur"

A: Die Erde ist rund.

A oder nicht A: Die Erde ist rund oder sie ist nicht rund. Eins von beiden muss gelten.

in Symbolen: \( \small A \vee \neg A \)

oder

\( \small B \): Eine natürliche Zahl ist gerade.

\( \small B \vee \neg B \): Eine natürliche Zahl ist gerade oder sie ist ungerade.


Aus Falschem kann alles folgen!

Beispiel:

A: Der Mond ist nicht aus grünem Käse. (wahr!)

B: Alle Katzen haben Flügel.

Dann ist folgende Aussage tatsächlich wahr:

Aus nicht-A folgt B: "Wenn der Mond aus grünem Käse ist, dann haben alle Katzen Flügel."

in Symbolen: \( \small \neg A \Rightarrow B \)

Beispiel:

\( A \): Die Zahl 2 ist gerade.

\( B \): Ein Vielfaches von der genannten Zahl ist gerade.

Wie man sich leicht überzeugt ist \( \small A \Rightarrow B \) korrekt:

2 ist eine gerade Zahl, daher ist auch ein Vielfaches davon gerade.

Doch es gilt auch:

2 ist eine ungerade Zahl, daher ist … egal was!

Dieser letzte Punkt hat fatale Auswirkungen: Macht man in einer Beweiskette einen Fehler und nimmt somit eine Aussage als wahr an, obwohl sie es nicht ist, und baut dann auf dieser Aussage weitere Folgerungen auf, so ist ab diesem Punkt der gesamte Beweis wertlos.

Allgemeine VorgehensweiseAblauf eines Beweises

Will man einen Beweis führen, so muss man zuerst einmal genau festlegen, was genau zu beweisen ist.

1. Vermutung formulieren

Der erste Schritt besteht darin eine Hypothese oder Vermutung aufzustellen. Diese sollte klar formuliert sein und eindeutig mit wahr oder falsch bewertet werden können. Alle Aussagen, die diese Bedingungen nicht erfüllen sind von vornherein nicht beweisbar.

2. Handwerkszeug zurecht legen

Jede Aussage lässt sich nur auf Grundlage bisher als wahr bekannter Aussagen begründen.

Ganz am Anfang dieser Kette stehen die sogenannten Axiome: Lehrsätze, die auf Grund ihrer offenkundigen Korrektheit nie angezweifelt werden.

Stellt man keine Axiome an den Anfang einer Argumentation, so steckt man im Dilemma der Suche nach dem Letztgrund fest.

3. Plan ausarbeiten

Bevor man mit der eigentlichen Argumentation beginnt, empfiehlt es sich stichpunktartig die eigentlichen Argumentationsschritte festzuhalten.

4. Plan schrittweise ausführen

Nach und nach werden in kleinen, leicht nachvollziehbaren Schritten die Argumente aufeinander aufgebaut, bis die anfängliche Vermutung eindeutig bestätigt oder widerlegt wurde.

Die Schritte werden gut geordnet und klar strukturiert notiert.

5. Kritische Prüfung

Der aufgeschriebene Beweis wird gedanklich - am besten mehrfach - nachvollzogen, um etwaige Unklarheiten noch auszubessern oder Fehler in der Argumentationskette zu entlarven.

Nach erfolgter Prüfung setzt man unter den Beweis ein Zeichen wie "q.e.d." um anzuzeigen, dass an dieser Stelle eine Aussage bewiesen wurde.

Beweistechniken

Direkter Beweis

Direkter Beweis

\( \small A\Rightarrow B \)

Es wird angenommen, dass die Aussage A gültig ist. Aus dieser Gültigkeit folgert man dann die Gültigkeit von B.

Ein solcher Beweis beginnt also mit den Worten:

"Angenommen es gelte A..." oder "Es sei... "

Indirekter Beweis

Indirekter Beweis\( \small A\Rightarrow B \) ist logisch gleichbedeutend mit \( \small \neg B \Rightarrow \neg A \).

Ein solcher Beweis beginnt also mit den Worten:

"Angenommen es gelte B nicht..."

Widerspruchsbeweis

Widerspruchsbeweis

Widerspruchsbeweis 2. SchrittUm die Gültigkeit der Aussage B zu zeigen, kann man eine "reductio ad absurdum" ausführen.

Dazu nimmt man an, dass B nicht erfüllt sei und folgert daraus irgendeine andere Aussage C, von der man aber auf Grund anderer, bereits bewiesener Aussagen weiß, dass sie nicht korrekt sein kann. Das ist dann ein Widerspruch, der oft mit einem Blitz markiert wird.

Wenn aber aus \( \small \neg B \) \( \small C \) folgt, so muss wegen der Beweistechnik des indirekten Beweises aus \( \small \neg C \) \( \small B \) folgen. Damit ist dann die Gültigkeit von B bewiesen.

Oft ist es schwierig, die richtige Aussage \( \small C \) zu finden, die einem die Anwendung des Widerspruchsbeweises erlaubt.

Der Beweis der Irrationalität von \( \small \sqrt{2} \) ist genau so ein Widerspruchsbeweis.

Der Widerspruchsbeweis findet sich auch häufig in der Argumentationstechnik von Anwälten vor Gericht: "Nehmen wir einmal an, ihr Alibi wäre wahr..."

Allaussage

Beliebige Auswahl zum Beweis einer Allaussage

Diese Technik wendet man an, wenn man eine Aussage für alle Elemente einer Menge \( \small M \) zeigen möchte.

Anstatt die Aussage für jedes Element einzeln zu zeigen, wählt man ein beliebiges Element \( \small x \) als Repräsentant aus der Menge aus. An diesem \( \small x \) zeigt man dann die Aussage.

Da man \( \small x \) beliebig gewählt hat, gilt die Aussage dann für alle Elemente der Menge.

Existenzaussage

Existenzaussage

Wenn man nur zeigen möchte, dass es in einer Menge mindestens ein Element gibt, das eine Aussage erfüllt, so genügt es auch völlig ein solches Element anzugeben.

Ein einziges Beispiel genügt hier tatsächlich als Beweis.

Will man hingegen zeigen, dass eine Aussage von nur genau einem Element erfüllt wird, genügt das nicht. Dann muss man dieses eine Element finden und zeigen, dass die Aussage dafür stimmt. Anschließend muss man aber für alle anderen zeigen, dass sie der Aussage nicht genügen. Das kann schwierig sein.

Völlige Fallunterscheidung

Vollständige Fallunterscheidung

In manchen Fällen kann man eine Allaussage \( \small D \) nicht direkt für ein beliebiges Element zeigen. Dann hilft oft eine Aufteilung der Menge M in mehrere Teilmengen nach dem Prinzip "divide et impera".

Wichtig ist dabei, dass alle Teilmengen die ursprüngliche Menge komplett abdecken. Man darf kein Element und keinen Sonderfall vergessen.

Dann lassen sich für die einzelnen Teilmengen die Aussagen \( \small A \), \( \small B \) und \( \small C \) zeigen, die übertragen auf die ganze Menge wieder zur Aussage \( \small D \) führen.

Beweis durch vollständige Induktion

vollständige Induktion

Die Beweistechnik vollständige Induktion funktioniert nur für Elemente, die sich aufzählen lassen. Dann ist sie aber häufig die einfachste und schnellste aller möglichen Herangehensweisen.

Die vollständige Induktion besteht aus zwei Teilen:

Induktionsanfang

Man zeigt, dass eine Aussage für das Element mit der Nummer 0 wahr ist.

Induktionsschritt

Man wählt sich ein beliebiges Element \( \small n \) aus. Dann nimmt man (ohne es sicher zu wissen) an, dass die Aussage für \( \small n \) schon bewiesen wäre. Wenn dann daraus folgt, dass die Aussage auch für das Element \( \small n+1 \) gelten muss, ist man fertig.

Beweis der Irrationalität von \( \sqrt{2} \)

Widerspruchsbeweis der Irrationalität

Widerspruchsbeweis der Irrationalität 2